Lilienthalstrasse
Grüße vom Übungsplatz
Postkarten mit oft idealisierten oder humorigen Motiven sind eine der Quellen, um einen Eindruck vom Leben auf dem Truppenübungsplatz zu bekommen. Sieht man sich das Gelände heute an, ist es schwer vorstellbar, dass hier im Durchschnitt oft bis zu 20.000 Soldaten aus dem gesamten Kaiserreich ihre jährlichen Manöver abhielten.
Der Übungsplatz diente hauptsächlich der Feldartillerie zur Übung, aber auch Infanterie, Kavallerie und Pioniere nutzten des Gelände. Heute noch sichtbar ist das »Übungswerk«, bestehend aus Wall und Graben als Teil eines Festungswerks. Es liegt heute im Naturschutzgebiet »Griesheimer Düne«.
Offizier-Frühstückscasino
In der Zeit bis zum Ende des ersten Weltkriegs wurde der gemeine Soldat in Wellblechhütten und Baracken (in der Nehring- und Jahnstraße) untergebracht, während Offiziere ein komfortableres Leben führten. Um 1880 als »Offizier-Frühstückscasino« gebaut, wurde die Ruine im Februar 2022 abgerissen. Seit dem Abzug der US Army verfiel das Gebäude, die Natur eroberte sich das Terrain zurück. Der orange Bereich auf der Karte links zeigt den Sicherheitsbereich des
Artillerie-Übungsplatzes, der beim Schießen nicht betreten werden durfte. Interessanterweise entspricht der Plan des Lagers aus dem Jahr 1905 (rechts) mehr oder weniger dem heutigen Straßenverlauf des Wohngebiets.
Weiter unten finden Sie eine einen Blick in die Ruine vom November 2021.
Franzosenzeit
Als Folge des ersten Weltkriegs musste die deutsche Regierung ihre Truppen westlich des Rheins zurückziehen. Damit war Griesheim von 13. Dezember 1918 bis 30. Juni 1930 in einem der Brückenköpfe der französischen Besatzungszone gelegen. In dieser Zeit wurde der Truppenübungsplatz von französischen Truppen genutzt, die Straßen bekamen französische Namen.
Das Gebäude, ursprünglich als »Württembergisches Stabs- und Offiziers-Gebäude« errichtet, war jetzt ein Teil der französischen Garnison. Ab 1937 nutzte es die »Ingenieurschule für Luftfahrttechnik«, von 1945 bis 2005 die US Army.
Das Bild enthält einen Aufruf an die Bevölkerung aus dem »Neuen Griesheimer Anzeiger« vom 16. November 1919: »Der große auf 30 Kilometer Durchmesser berechnete Rheinbrückenkopf bei Mainz, der von den Aliierten besetzt wird, greift auch auf das rechte Rheinufer über. Dieser Halbkreis dürfte sich etwa über Frankfurt–Darmstadt–Gernsheim erstrecken. Also muß sich auch unsere Gemeinde mit dem überaus schmerzlichen Gedanken vertraut machen, daß wir feindliche Einquartierung erhalten. Grund zur Beunruhigung liegt deshalb nicht vor; vor allen Dingen gilt es Ruhe zu bewahren und strengste Disziplin halten. In diese Waffenstillstands-Bedingungen mußten wir einwilligen, da jeder weitere Widerstand nutzlos war, aber tieftraurig ist, daß das deutsche Volk nach einemm vierjährigen Heldenkampfe nun die Folgen des seitherigen Systems zu tragen hat.«
Civilian Support Group
Die Gebäude 4303 und 4304 sind die am besten erhaltenen des ehemaligen Militärgeländes. Ursprünglich als Unterkunft für Offiziere genutzt, waren sie nach Abzug der Franzosen Teil des »Instituts für Luftfahrttechnik«, einer internatsähnlichen Schule zur Ausbildung von Luftfahrtingenieuren.
In der amerikanischen Ära wurde dieser Teil des Geländes »CSG-Compound« getauft. Die »Civilian Support Organisation« entstand nach dem zweiten Weltkrieg und beschäftigte zuerst ehemalige Zwangsarbeiter, u. a. Polen, Balten, Russen, die nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren wollten. Die Einheiten unterstützten bei alltäglichen Aufgaben wie Bewachung, Transport sowie Hoch- und Tiefbau.
Im Gebäude 4304 (von der Gutermuthstraße zu sehen) befand sich die Kantine, die (angeblich) auch bei den Mitarbeitern der Zeitung »Stars and Stripes« große Beliebtheit hatte.
Der Windkanal
1935/36 nach Entwürfen von Dr.-Ing. Franz Nicolaus Scheubel für die Technische Hochschule Darmstadt errichtet, ist der Windkanal das einzige noch genutzte Gebäude des ehemaligen Flughafengeländes. Im Stil des »Klinkerexpressionismus« der Zwanziger Jahre erbaut, brachte er den Wissenschaftlern neue Möglichkeiten in der flugtechnischen Forschung.
Dass er nach dem Krieg nicht, wie ähnliche Anlagen, durch die Amerikaner
demontiert oder zerstört wurde, hat zwei Gründe: Zum einen die ungewöhnliche Bauweise in die Höhe und nicht in die Länge wie beim DFS-Windkanal. Zum anderen die Demontage aller beweglichen Teile durch die Deutschen kurz vor Kriegsende. Dadurch erkannten die Amerikaner das Gebäude nicht als flugtechnische Anlage und richteten hier zunächst ein Offzierscasino ein. 1954 wurde der Windkanal an die Technische Hochschule Darmstadt zurückgegeben, seit 1992 steht er unter Denkmalschutz.
Über die Amerikaner berichtet Ursula Eckstein diese Episode:
»Es wird davon erzählt, dass die Amerikaner in der Messstrecke des Windkanals eine Bar eingerichtet hatten. Sie entwickelten einen Wurfsport, indem sie versuchten, den Motor zu starten und Cola-Dosen durch die sich drehenden Propellerblätter zu werfen, dabei wurde die Luftschraube beschädigt.«